Werden bei der Bildung eines Projektteams gruppendynamische Entwicklungsprozesse berücksichtig?
Normalerweise besitzt ein Unternehmen eine fest gestaltete Organisation, mit der es seine Prozesse und Aufgaben abarbeitet. Damit lässt sich zwar routiniert arbeiten, eine schnelle Reaktion auf überraschende Ereignisse ist aber i.d.R. nicht möglich. Gerade Marktumbrüche, globale Wettbewerbssituationen, immer kürzere Produktzyklen und differenziertere Kundenansprüche haben Projektteams zur Geheimwaffe vieler Unternehmen werden lassen. Führungskräfte haben erkannt, dass Projektteams abteilungs- und hierarchieübergreifend schnell kreative Ergebnisse entwickeln können. Dass sie es dennoch vielerorts nicht tun, hat nach der anfänglichen Euphorie in den letzten Jahren zu Ernüchterung geführt. Die Unternehmensspitzen mussten erkennen, dass Projektarbeit ein klares Konzept und die Projektteams Zeit zum Zusammenwachsen brauchen, bevor sie erfolgreich arbeiten können.
In der akademischen Debatte wird Projektmanagement typischerweise in aufeinanderfolgende Phasen eingeteilt. Dabei beschränkt sich die Sichtweise häufig auf die Aufgaben- sowie Sachebene der Projektdurchführung. Unterschlagen wird dabei die Tatsache, dass sich jedes Projektteam und jede Arbeitsgruppe aus Menschen zusammensetzt, die parallel zu den Projektphasen einer gruppendynamischen Entwicklung unterworfen sind.
Jede Gruppe ist erst einmal nur eine Ansammlung von Individuen mit spezifischen Bedürfnissen, Interessen und Kompetenzen. Ein Team entsteht daraus erst im Verlauf eines längeren Teambildungsprozesses, in dem Kompetenzgerangel und Positionierungskämpfe stattgefunden haben, Verhaltens- und Kommunikationsregeln festgelegt und Rollen bzw. Verantwortlichkeiten zur Erreichung des gemeinsamen Ziels definiert wurden. Der Prozess der Teambildung ist kein einfacher Ablauf, sondern ist verbunden mit einer Menge von Schwierigkeiten, die es zu bewältigen gilt. Dabei kann es immer wieder zu Rückschlägen kommen, die auch zu einem Scheitern der Projektgruppe führen können.
Ein hilfreiches Orientierungsmodell, das die Dynamik innerhalb eines Projektteams darstellt, ist das Teamphasenmodell des amerikanischen Psychologen Bruce Tuckman. Nach Tuckman durchläuft ein Team generell einen gruppendynamischen Entwicklungsprozess in vier Phasen: In jeder dieser Phasen weist eine Gruppe spezifische Merkmale auf.
Die Forming-Phase beginnt mit der Gründung der Gruppe. Die Mitglieder lernen sich kennen und versuchen sich und ihre Postionen in der Gruppe einzuordnen. Der Umgang untereinander ist förmlich und distanziert.
In der Storming-Phase treten dann erste Unterschiede und Konflikte zu Tage, da sich die Mitglieder besser kennen- und einschätzen können. Die unterschiedlichen Zielvorstellungen und Meinungen werden geäußert, Konkurrenzen untereinander und Anti-bzw. Sympathien treten deutlich zu Tage, die Individualität der Mitglieder wird gelebt
Die Norming-Phase bildet die Arbeitsgrundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit des Projektteams. Durch die Auseinandersetzungen in der Stroming-Phase wurden Regeln und Abläufe formuliert, bestehende Differenzen durch Zielvereinbarung gelöst und Gruppenregeln und Vereinbarungen verabredet.
Wenn diese Phase abgeschlossen ist, spricht man von der Performing bzw. Leistung-Phase. Auf der Basis der erarbeiteten Regeln und Zielvereinbarungen nimmt die Gruppe ihre Arbeit auf, die Mitglieder kennen ihre Zuständigkeiten und engagieren sich entsprechend.
Wenn die Leistungen der Projektteams nicht den erwarteten Erfolg bringen, wird dieser Prozess manchmal durch eine fünfte Phase ergänzt. Nach Stahl[1]tritt dann eine Reforming-Phase ein, in der die Regeln und Ziele anhand der gesammelten Erfahrungen von der Gruppe gemeinsam überprüft werden. Dadurch kann eine Gruppe unter Umständen. wieder in die Storming-Phase gelangen.
Jede einzelne Phase beinhaltet besonderes Konfliktpotential,
das der Projektleiter kennen und managen sollte, wenn er sein Projektteam zu einem erfolgreichen Abschluss führen will. Folgendes Konfliktpotential tritt in den einzelnen Phasen auf:
Norming:
- Unklare Strukturen und Hierarchien
- Rollenbilder, Vorurteile und Klischees
- Unsicherheiten und Ungewissheiten
- Subgruppenbildungen
- Mitglieder wollen unterschiedlich schnell zur Tat schreiten
Storming
- Fehlende Gruppenregeln und Konfliktkultur
- Unklare Kompetenzen und Hierarchien
- Inoffizielle, konkurrierende Führungsansprüche
- persönliche psychische und soziale Defizite
- Verlagerung von Konflikten auf Projektgruppe
Norming
- Einzelne Widerstände
- Entscheidungsträgheit und Ambivalenzen
- Export nicht befriedigend geklärter Themen aus der Stormingphase
Performing
- Leistungsdruck/Hohe Erwartungen
- ungleiches Engagement und ungleicher Einsatz von Ressourcen
- Fachliche Fehler und mangelnde Toleranz
(Re)-Forming
- Hohe Erwartungen
- Enttäuschung wegen Zielverfehlungen
- Rückzug
- passive Aggression/Boykott
Erst wenn eine Gruppe den gruppenspezifischen Entwicklungsprozess durchlaufen bzw. gemeistert hat, ist der Grundstein für die erfolgreiche Teamzusammenarbeit gelegt. Die Entwicklungsphasen haben dazu geführt, dass sich die Teammitglieder kennengelernt haben, gegenseitiges Vertrauen und eine Teamzugehörigkeit aufbauen konnten, einen gemeinsamen Wege zur Zielerreichung vereinbart haben, eine Gesprächskultur aufgebaut und Rollen bzw. Zuständigkeiten formuliert wurden. Aufgabe der Projektleitung ist es nicht zuletzt, dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen für die oben genannten Prozesse vorlagen und
- sich die Teammitglieder über die Ziele, die sie gemeinsam erreichen wollen, einigen konnten
- Vertrauen für die Zusammenarbeit aufgebaut wurde, um Standpunkte kontrovers aber konsensorientiert zu erörtern
- die Rollen klar und sinnvoll verteilt sind und von allen Teammitgliedern akzeptiert werden
- im Team ein konstruktiver Umgang mit Konflikten vorherrscht, was wiederum gegenseitiges Vertrauen voraussetzt
Die Rolle der Projektleitung umfasst also bei weitem nicht nur technische und administrative Aufgaben. Ein Projektleiter muss in hohem Maße auch soziale Funktionen wahrnehmen. Auch wenn es sein vorrangiges Ziel ist, den Lernprozess des Teams auf der Sachebene im Hinblick auf das Projektziel zu begleiten und zu führen, muss er gleichzeitig den Lernprozess der Gruppe auf der sozio-emotionale Seite fördern und eine entsprechende Projektkultur aufbauen.
Zu Höchstleistungen ist ein Team nämlich nur in der Lage, wenn es dem Projektleiter gelingt, eine „Positivspirale“ in Gang zu setzen, in der jedes Teammitglied seine Arbeitspräferenzen und Potentiale nutzen darf und sich mit seinen Interessen und Bedürfnissen ernst genommen fühlt. Deshalb sollte nicht zwangsläufig der vermeintlich beste Fachmann oder das ranghöchste Teammitglied die Projektleitung übernehmen, sondern auch sozio-psychologische Faktoren und Fähigkeiten bei der Besetzung eine Rolle spielen.
Unternehmen, die sich diesen Umstand bewusst sind und dem Projektteam genügend Zeit zum Selbstaufbau geben, haben sehr viel höhere Chancen auf erfolgreiche Projektabschlüsse. Aufgrund der gruppendynamischen Komplexität bleibt allerdings zu überlegen, für welche unternehmerischen Herausforderungen die Gründung eines Projektteams ökonomisch sinnvoll ist. Gleichzeitig sollten Führungskräfte abwägen, ob sie ein erfolgreiches Projektteam bei Zielerreichung einfach auflösen und auf eine weitere Nutzung des Teampotentials verzichten oder das inzwischen zusammengewachsene Team weiter gemeinsam an einem neuen Projekt arbeiten lassen.
Gute Projektarbeit fördert nämlich nicht nur den Erfolg des Unternehmens, sondern stärkt die Motivation und Leistungsbereitschaft der beteiligten Mitarbeiter. Gleichzeitig vermittelt diese Arbeit einen Blick über den Abteilungstellerrand, prägt die Unternehmenskultur und erhört im Idealfall auch die Unternehmensidentifikation.
[1] Stahl, E.: Dynamik in Gruppen, Handbuch der Gruppenleitung, Beltz VerlagWeinheim/Basel 2007
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