Differenzierungsphase: Systeme steuern Menschen
Um mit dem Chaos des Informellen und der Willkür der Personenorientierung aufzuräumen, steuern wachsende Unternehmen häufig die Differenzierungsphase an. Alle Anstrengungen werden nun darauf gerichtet, das Unternehmen steuerbar und beherrschbar zu machen. Die konsequente Abkehr vom Personenkult hin zu einer wissenschaftlichen Betriebsführung ist das Ergebnis. Um reibungslos funktionierende Abläufe zu ermöglichen, wird der Produktionsfaktor Mensch/Mitarbeiter in ein festes Korsett gezwängt. Überall sollen durch Standardisierung und Spezialisierung Menschen, Prozesse und Arbeitsabläufe steuerbar gemacht werden. Dafür werden Produktionsprozesse zerlegt, streng hierarchische Führungsebenen und Zuständigkeiten definiert und die Arbeit in kleine fest vorgegebene Abläufe zerteilt.[1] Die Abläufe werden analysiert und anschließend formalisiert. Offizielle Dienstwege und Zuständigkeiten regeln das tägliche Miteinander.
Anders als noch in der Pionierphase setzt die Organisation auf eine konsequente Arbeitsteilung zwischen planenden, ausführenden und kontrollierenden Tätigkeiten. Spezialisten lösen zunehmend die Generalisten ab, es entstehen Stabsstellen, die beraten und Linienstellen, die Entscheidungen treffen.[2]
Passend zur Differenzierungsphase wird häufig ein bürokratischer/technokratischer Führungsstil eingeschlagen. Der Führungsstil wird nicht mehr an der Persönlichkeit einzelner Menschen festgemacht, sondern durch Führungsrichtlinien (Normen innerhalb der Organisation, formelle Stellenbeschreibungen, Führungsanweisungen, Verfahrensvorschriften und Standardregeln) oder Führungsinstrumente ( Checklisten, Verhaltenstraining, Methoden etc.) standardisiert. Die technischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten geben die Bedingungen und die Taktgeschwindigkeit vor, an die sich Mitarbeiter/Menschen anzupassen haben. Infolge eines solchen Führungsstils kühlt das soziale Betriebsklima ab, das Verhältnis der Mitarbeiter zum Unternehmen wird aufgrund der hohen Außensteuerung distanzierter. Die Motivation erfolgt häufig nur noch durch Geld und Statussymbole.
Auch auf Kundenseite verändert die Organisation ihre Strategie. Individuelle Kundenbetreuung und flexible Konzepte müssen einer standardisierten Auftragsabwicklung weichen, die Produktpalette wird standardisiert und bereinigt.
Die Stärke der Organisation in der Differenzierungsphase liegt in der neu geschaffenen Rationalität und Berechenbarkeit. Aufgrund der Rationalisierungserfolge neigen Unternehmen im Zuge des Gefechts aber dazu, die Differenzierung, Reglementierung und Formalisierung zu übertreiben. Dann jagt eine Vorschrift die Andere, Prozessdokumentation, Verfahrensvorschriften lähmen die Initiative bzw. Produktivität und die Mitarbeiter verlieren zunehmend die Lust an standardisierten Arbeitsabläufen.
Die Krisensymptome[1] äußern sich dann häufig durch
- Abteilungsdenken und Besitzstandwahrung
- Motivationsprobleme und Dienst nach Vorschrift
- Kompetenzkonflikte (sich für nicht zuständig erklären)
- Ständige Rückdelegation,
- Delegation von Verantwortung und Entscheidungen nach oben
- Statusdenken
- Stab-Linie-Differenzen
Darüber hinaus haben auch die Kunden Probleme mit der hoch spezialisierten und undurchschaubaren Organisation und deren mangelnden Flexibilität. Aufgrund der Spezialisierung entwickeln viele Abteilungen ein Eigenleben, das sich in unterschiedlichen Denkweisen und Fachsprachen manifestiert. Gräben und Trennwende werden dadurch größer und erschweren die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit. Um dieses Defizit auszugleichen, werden neue Stabs- und Koordinationsstellen geschaffen, die die Organisationsstruktur weiter bürokratisieren. Als Ausweg aus der Krise versuchen Unternehmen entweder einen Schritt zurück in die Pionierphase zu gehen, in dem sie die Organisation in kleinere Einheiten zerschlagen oder die Spezialisierung und Normierung weiter voranzutreiben. Andere Unternehmen wiederum wagen den Schritt nach vorne in die nächste Entwicklungsphase.
[1]Kiefer, B.-U.: Führung und Organisationsentwicklung, ILS Institut für Lernsysteme Hamburg
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